Haben Sie schon mal beobachtet, dass einige Menschen in unserer Welt eine angeborene Fähigkeit zum Geben haben? Aufgrund dieser Veranlagung sind solche Menschen immer bereit zu geben, sich selbst hinzugeben, sich ohne Rücksicht auf Verluste zu verausgaben, überall gleichzeitig zu sein. Sie sind von einer Großzügigkeit beseelt, die man am Ende kaum noch wahrnimmt, so selbstverständlich ist sie. Sie gehört zur Normalität.

Solche Personen gibt es natürlich selten, jedoch findet man sie überall, in jeder Altersklasse, in jeder Sozialschicht. Nicht nur in ehrenamtlichen Tätigkeiten, sondern einfach im Umfeld des täglichen Lebens.

Sie fallen nicht so schnell auf, weil sie nicht laut sind, sich nicht beschweren und oft den Eindruck geben, dass sie selbst große Freude an ihrem Tun haben.

Ich kenne solche Menschen… Und wenn ich sie beobachte, stelle ich immer wieder fest, dass ihr Umfeld davon ausgeht, dass man den Bogen immer weiter spannen kann, weil sie sowieso einverstanden sind.

Das kann sich über viele Jahre erstrecken, weil diese Menschen von Natur aus großzügig sind. Jedoch eines Tages werden sie kurz aber plötzlich und ohne Vorwarnung wütend, weil  jemand zu weit gegangen ist und nicht verstanden hat, dass man nicht unendlich den guten Willen und die Opferbereitschaft eines anderen ausnutzen kann, weil man nicht auf Dauer das Herz und die Kräfte eines anderen Menschen bedenkenlos plündern kann.

Und dann, glauben Sie mir,  reagiert der Betroffene und erzählt überall: „Mein Gott, der Herr Soundso, die Frau Soundso ist aber böse! Der oder die hat sich verändert! Das hätte ich nie von ihm/ihr erwartet… Für wen hält er/sie  sich? Und dann wird gemunkelt, dass Herr oder Frau Soundso zwei Gesichter habe, dass er/sie nicht so freundlich sei, wie er/sie aussieht, und dass irgendetwas mit ihm/ihr nicht stimme.

Ich habe selbstverständlich solche Herren oder Frauen Soundso beobachtet… Sie verstehen nicht immer, was sie ausgelöst haben, noch merken sie immer, was über sie hereinbricht. Auch wenn sie ein wenig verbittert sind, hören sie nicht auf zu geben, weil sie einfach so sind.

Unerschütterliche Großzügigkeit? Dummheit? Naivität? Masochismus? Kann man diese Frage mit einem einzigen Wort klären?

Ich glaube es nicht. Ich glaube viel mehr, dass es Menschen gibt, die geboren sind, um in erster Linie zu lieben, um maßlos zu geben, um der Menschheit in ihrer Entwicklung zu helfen… Naive Gemüter, würden einige behaupten. Und ich glaube auch, dass diese Menschen hin und wieder für kurze Zeit merken, dass sie aufgrund ihrer Opferbereitschaft leicht ausgebeutet werden,  und dass eine große Diskrepanz zwischen ihnen und dem Rentabilitäts- und Profitdenken, das in unserer Welt herrscht, besteht.

Nicht nur die natürlichen Ressourcen der Erde werden bedenkenlos ausgeraubt, sondern auch das Herz und manchmal sogar die Leistungen von anderen Menschen. Die Erde wehrt sich regelmäßig, ob man es will oder nicht, auch wenn das menschliche Geschlecht ein kurzes Gedächtnis hat.

Wenn aber ein Mensch so behandelt wird wie die Erde, wie lange kann er durchhalten?

Es gibt ein sehr schönes Gedicht von Alfred de Musset, „der Pelikan“. Dieses Gedicht bezieht sich auf eine alte Legende, wonach der Pelikan seine Jungen ausgerechnet mit seinen eigenen Gedärmen füttert.

Die großzügigen Menschen, weitläufig ausgenutzt, von denen ich in diesen Zeilen erzähle, erinnern mich erstaunlich stark an diesen Vogel aus der Legende. Ist es ihr Schicksal oder ihr Karma, so behandelt zu werden, sich ausnutzen zu lassen, ohne wirklich dagegen reagieren zu können – und wenn, dann auch nur zu ihrem eigenen Nachteil?

Jeder kann für sich antworten.

Vielleicht sind solche Menschen für diese Welt einfach nicht geeignet… Vielleicht sind sie die Vorreiter einer anderen Welt…

Ich setze auf die zweite Option.

Daniel Meurois, Oktober 2012.