So wie ich haben Sie sicherlich festgestellt, dass die Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz der Kinder seit ungefähr fünfzehn Jahren einen exponentiellen Anstieg erleben. Niemand kann sich darüber beschweren und jeder sollte es begrüßen.

Wer will schon zusehen müssen, wie sein Kind bei einem Unfall verletzt oder getötet, oder gar überfallen wird?  Die Frage steht nicht zur Diskussion, obwohl, wenn man beobachtet, wie unsere Gesellschaft funktioniert, könnte man manchmal das Gefühl bekommen, dass  die endlose Anhäufung von Vorschriften nur der Ausdruck der chronischen Paranoia unser Gesellschaft ist. Aber das ist eine andere Geschichte… und nicht die Richtung, in die ich die Gedanken, die ich mit Ihnen teile, lenken möchte.
Nein… Wenn ich heute das Bedürfnis habe, von Kindersicherheit  zu sprechen , dann deshalb, weil ich überrascht bin, wie die Erwachsenen – die wir (im Prinzip) sind – ihren Nachwuchs immer öfter nur als einen Körper betrachten, als physikalische Maschinen, die die Verlängerung der eigenen sind und in die Welt wie in eine Schlacht gehen… bis sie schließlich selbst für Nachwuchs sorgen.

Diese Feststellung bringt mich aus der Fassung, weil sie zeigt, dass unsere Gesellschaft überhaupt nicht in der Lage ist, die „innere Sicherheit“ unserer Kinder zu berücksichtigen. Damit meine ich natürlich ihr moralisches, psychisches, mentales und emotionales Gleichgewicht. Ich meine die Harmonie ihres Bewusstseins… Ich spreche nicht von ihrer Seele, weil dieses Wort, wie ich es schon mal betont habe, Angst macht und diejenigen, die sich nicht scheuen, es zu benutzen, oft diskriminiert werden. Aus demselben Grund werde ich selbstverständlich erst recht nicht von „spiritueller Dimension“ sprechen. Deshalb sage ich einfach nur die „menschliche Dimension“ und meine damit das innere Gleichgewicht von denen, deren Entwicklung in unserer Verantwortung liegt.
Wenn ich dies behaupte und mit dem Finger auf unsere Leichtsinnigkeit und sogar unsere Missachtung der moralischen und psychologischen Tatsachen zeige, dann nur, weil ich über unsere hohe Akzeptanz von Gewalt im Leben unserer Kinder geschockt bin. Wir haben die Gewalt in ihrem Leben mit einer Art Lässigkeit und Fatalismus zugelassen, die sicherlich in unsere kollektive Geschichte eingehen wird.

Bis auf ein paar Ausnahmen ist das Schauspiel des Lebens, das wir ihnen anbieten, nichts weiter als eine Mischung aus extremer visueller und akustischer Gewalt, Lügen, Diebstahl, und allerlei Perversionen.
Sie denken, dass ich übertreibe? Dass ich altmodisch bin oder, wenn Sie den Ausdruck vorziehen, völlig „out“? Es gibt jedoch regelmäßig in den Fernsehnachrichten und sogar ganz in unserer Nähe sehr traurige Bilder,  die mir leider Recht geben, ohne dass weitere Argumente angeführt werden müssen. Wer diese Dinge leugnet ist wirklich blind…
Neurosen, Psychosen, Angstzustände sind nicht mehr nur Erwachsenen vorbehalten, die den Schwierigkeiten in ihrer Welt nicht zurecht kommen. Unsere Verantwortungslosigkeit und unser fehlendes Rückgrat hat aus der Generation der Kinder – und selbstverständlich auch der Jugendlichen, die wir gezeugt haben, eine kranke Generation gemacht. Krank, weil ohne grundlegende, innere Anhaltspunkte.
Wenn die mit den tiefsten Abgründen des Egos verbundenen Werte – Grausamkeit und zur Krönung sogar Sadismus – den Hintergrund und den Anreiz der Filme macht, die diese Generation verschlingt, und der Videospiele, die sie faszinieren,  dann spreche ich vom moralischen Mord von Hunderten Millionen  Menschen.

Der Ausdruck ist sicherlich nicht zu stark, auch wenn er manche Gemüter mit ruhendem Gewissen verärgern könnte. Moralischer Mord durch Vergiftung. Warum sollen wir einen Hehl daraus machen? Das ist eine Frage des gesunden Menschenverstandes.

Indem sie ihre Seele verleugnet – entschuldigen Sie bitte den unanständigen Ausdruck –  hat unsere Gesellschaft kapituliert. Wir sollten auf keinen Fall sagen: „Verantwortlich sind die anderen, die die Fäden der Macht ziehen…“. Aufgrund unserer zu großen Nachgiebigkeit sind wir selber mitschuldig an der Entstehung dieses peinlichen Szenarios, das die primitivsten Neigungen im Menschen aufwertet und unsere Spezies am Ende gehirnlos zurücklässt. Selbstverständlich habe ich auch Gegenargumente gehört. Sie enden alle mit dem Satz: „Kommen Sie schon! Die Kinder müssen doch mit ihrer Zeit leben!“

Mag sein… Aber was ist das für eine Zeit, die eine ganze Jugend von innen verzehrt?
Da wo ich lebe, beginnen ca. 80% der Filme und der Fernsehserien mit diesem Hinweis: „Wir möchten Sie darauf hinweisen, dass die folgende Sendung Gewaltszenen enthält, die für Kinder und Jugendliche  nicht geeignet sind. Eltern sollten ihre Kinder dabei nicht unbeaufsichtigt lassen.“

Eltern? Ich schlage vor, dass man diesen Begriff neu definiert…

Natürlich ist es gut, wenn man einen bestimmten Bereich, eine Strecke zur Schule absichert, und wenn man seinem Kind ermöglicht, eine Sportart zu betreiben und es dabei so lobt, als ob man sich dadurch von irgendetwas reinwaschen könnte… Aber wenn wir ihm nicht helfen können, sein „inneres Gerüst“ zu entwickeln, wo ein Minimum an Licht – das heißt ein Minimum an Sanftheit, Gleichgewicht, Zärtlichkeit, Edelmut, Wille und Hoffnung – herrscht, dann sollen wir uns darauf gefasst machen, dass es Schiffbruch erleidet.
Haben wir nicht ganz einfach den Geschmack der Liebe vergessen?
Wir sind doch angeblich seit Ende 2012 von einer neuen Bewusstseinswelle überflutet…

Es  liegt an uns, es zu beweisen!

© Daniel Meurois